Lean beginnt, wenn noch gar kein Projekt da ist

Im Rahmen eines größeren Bauvorhabens in Frankfurt wurde die Inneneinrichtung von ca. 350 Klein- und Micro-Apartments nach der Lean Philosophie ausgerichtet. Im Zuge dieses Projektes starteten wir mit dem Bauherrn ein Experiment.

Die Aufgabe war klar: 350 Klein- und Micro-Apartments sollten eingerichtet werden. Dabei sollte ergründet werden, wie Lean-Methoden und -Prinzipien im Rahmen eines herkömmlich gedachten und geplanten Bauvorhabens wirken bzw. sich dort umsetzen lassen. Die Kernfragen waren, inwiefern sich dabei weitestgehend gegenläufig gedachte Systeme behindern oder ob es durch den Einsatz der Lean-Ansätze letztlich doch zu positiven Auswirkungen auf das Gesamtprojekt kommen kann. Vorneweg ist zu bemerken, dass wir im Grunde eine Vielzahl positiver wie sehr herausfordernder Facetten erlebt haben und dankbar sind, ein solche Gelegenheit erhalten zu haben.

Konkrete Umsetzung des Projekts

Wir haben uns bei der Gestaltung der Prozesse u.a. von folgenden Gedanken leiten lassen:

  • Bestmögliche Arbeitsbedingungen für die Monteure – für die wertschöpfenden Prozesse(!) – in den Apartments schaffen.
  • Kontinuierliche Wertschöpfung ermöglichen
  • Kurze Durchlaufzeiten insbesondere ab der Laderampe der Produzenten realisieren.
  • Qualität im Prozess zu erzeugen

Das Ziel war eine Verschwendungsreduzierung in den Prozessen am Bauvorhaben zu realisieren, die eine Produktivitätssteigerung um größer 50 Prozent gegenüber herkömmlichen Prozessen ermöglicht.

Es wurden dabei so viele Tätigkeiten wie möglich aus den Wohnungen in Vorprozesse verlagert, um sie dort unter optimalen Voraussetzungen durchzuführen. Dazu wurden im Logistikzentrum, das wir in der Tiefgarage einrichten konnten, Vormontageplätze entwickelt, die beispielsweise durch Hebevorrichtungen ein ergonomisches Arbeiten ermöglicht haben.

In einer Tiefgarage wurden Vormontageplätze eingerichtet, um Prozesse möglichst aus den Wohnungen vorzuverlagern

Frankfurt Montageplatz

Ein Logistikteam hat im Takt (soweit es durch Vorgewerke möglich war, wurde im 2-Stunden-Takt montiert) die auf speziell entwickelten Transportwägen geladenen Einrichtungsgegenstände in den Apartments angedient. Dieser “Logistik-Zug” pro Takt entsprach dem “Gewerke-Zug” in den Apartments, die Beladungslogik auf jedem Transportwagen wiederum entsprach exakt der Verarbeitungsreihenfolge der Teil durch die Monteure.

Soweit es durch Vorgewerke möglich war, wurde im 2-Stunden-Takt montiert

Frankfurt Logistik Zug

Den Monteuren standen standardisierte Arbeitswägen mit entsprechend definierten Werkzeugen, Schablonen etc. zur Verfügung, die ebenfalls im Vorfeld entwickelt wurden. Auch hierbei standen bestmögliche Ergonomie, Sicherheit und verschwendungsfreies Arbeiten im Vordergrund unserer Überlegungen.

Frankfurt Montagewagen in Zimmer

Den Monteuren standen standardisierte Arbeitswägen mit entsprechend definierten Werkzeugen, Schablonen etc. zur Verfügung

Angewandte Lean-Methoden

Probleme sollten so schnell wie möglich an die Oberfläche geholt und bearbeitet werden. Wir haben die dafür notwendigen Kommunikationsstrukturen wie ein tägliches Team-Meeting, Teamtafeln bzw. Info-Boards mit Visualisierung der Tagesvorschau (Logistikdaten/-infos) und Transparenz in den Prozessen hergestellt. Dazu wurde auch viel in sogenanntes “visuelles Management” investiert, unter anderem wurden sämtliche Apartments durch uns gekennzeichnet. Hier war interessant zu beobachten, dass dieses Visualisieren durchaus einen Effekt bei anderen Gewerken ausgelöst hat, nämlich in Form einer besseren Orientierung in den Geschossen, da man selbst diese banale Form der Transparenz nicht gewohnt ist.

Wir haben erlebt, dass die von uns entwickelte Arbeitsweise unsere Erwartungen erfüllt hat, solange die Störgrößen aus den Vorprozessen und dem herkömmlich geprägten Arbeitsumfeld keine toxischen Dimensionen annahmen. Das war leider immer wieder der Fall und hat die Aufwände im Overhead in unserer Baustellenorganisation extrem in die Höhe gepusht.

Dieser Faktor war im Vorfeld in einer solchen Dimension nicht vorhersehbar und hat insbesondere die Weiterentwicklung unserer eigenen Prozesse fast unmöglich gemacht, weil so viel Energie in das Beheben und Beseitigen von “Behinderungen” geflossen ist. Unsere Mitarbeiter*innen haben Verbesserungen der eigenen Prozesse auch vielfach als sinnlos wahrgenommen, aus ihrer Sicht waren wir ohnehin zu schnell für das allgemeine Voranschreiten des Bauvorhabens.

Somit war eines der zentralen Merkmale einer im Lean Mindset erdachten Organisation, nämlich des tägliche Lernen und Verbessern durch das Identifizieren und gemeinsame Eliminieren von Verschwendung so gut wie ausgeschlossen, was die Entwicklung der eigenen Mannschaft massiv eingebremst hat.

Frankfurt Plantafel

Tägliches Team-Meeting, Teamtafeln bzw. Info-Boards mit Visualisierung der Tagesvorschau (Logistikdaten/-infos) sollten Transparenz in den Prozessen herstellen

Trotzdem haben wir in gewissen Bereichen erlebt, dass die Transparenz und Strukturiertheit unserer Prozesse auch eine heilsame Wirkung auf angrenzende Gewerke ausgeübt haben. Das war dort erkennbar, wo andere Gewerke die Offenheit hatten, unseren Zugang in Bezug auf das taktweise Arbeiten bewusst wahrzunehmen. In der Folge gab unsere Liefer- bzw. Termintreue bezüglich “Betreten eines Apartments” durch unsere Teams auch Orientierung, wann was tatsächlich als Vorleistung fertigzustellen war. Gerne spricht man bei Baustellen, die sich dem Thema Lean ganzheitlich annähern, auch von “eingehaltenen Zusagen”, allerdings war hier für uns wenig transparent, ob Gewerke im Vorfeld tatsächlich die terminliche Zusage gaben, dass wir zeitgerecht starten können. Dazu wäre eine kooperative Kommunikation über alle Gewerke notwendig gewesen, was aber hier nicht der Fall war.

Man konnte unsere Arbeitsweise aber durchaus auch als ein “Vor-sich-Hertreiben” der Vorgewerke empfinden, denn das durch den Takt kontinuierliche Voranschreiten unserer Arbeit hat der Bauleitung einen Hebel ermöglicht, Druck nicht nur am Papier, sondern durch unser kontinuierliches Wirken auszuüben (eine gleichmäßige voranschreitende “Montage-Walze”). Die Bauleitung hat gleichsam transparent geliefert bekommen, wer im Plan und wer nicht im Plan war. Das hatte aber auch den Nebeneffekt, dass wir vielfach durchaus als gegen den Strom schwimmend und fremdartig wahrgenommen worden. Vielfach wurde dies nicht nur freundlich aufgenommen, und unsere Mitarbeiter*innen hatten hier durchaus unangenehme Situationen miterleben müssen.

Als weiteren hemmenden Faktor haben wir erlebt, wie wenig das Arbeiten auf ein gemeinsames Ziel unter allen Beteiligten verbreitet ist, Claimen ist das beherrschende Denkmuster, jeder ist sich selbst am nächsten. Aus diesen und vielen anderen Gründen war unser Einfluss auf die Gesamtbaustelle insgesamt her gering. Die aus dem herkömmlichen Denken resultierenden destruktiven Kräfte sind nach wie vor übermächtig. Unsere Zielsetzung war, den letzten Schritt, nämlich das Einrichten der Apartments, nach Lean-Prinzipien und -Methoden in einer qualitativ und terminlich hochgradig optimieren Form durchzuführen. Das Zubringen und Montieren im kontinuierlichen Fluss hoher Volumina von Möbel auf sehr kleinem Raum (“Micro-Apartments”) bei gleichzeitig hoher Varianz der Zimmer hat uns dabei – speziell durch die extreme Abhängigkeit hochwertigen Fertigstellungen von vorgelagerten Gewerken inkl. Planung(!) – vor komplexe Herausforderungen gestellt.

Visualisierungen lösten durchaus einen Effekt bei anderen Gewerken aus, nämlich in Form einer besseren Orientierung in den Geschoßen

Frankfurt Orientierung

Lessons learned

Jedes kleine Problem, und sei es nur eine falsch montierte Steckdose, hat in unseren Prozessen voll durchgeschlagen. In der Lean-Denkwelt würde dieses unmittelbare Aufzeigen von Problemen zu einer kooperativen Verbesserung über alle Gewerke genutzt werden, aus den Fehlern würde ein Lernprozess abgeleitet werden und im optimalen Fall von Apartment zu Apartment würden diese Verbesserungen erkennbar sein. All das war für uns hier nicht umsetzbar, eher ist die Anzahl der Mängel durch Vorgewerke durch den immer größer werdenden Zeitdruck gestiegen. Viel der Mängel haben wir selbst behoben, weil sonst ein Vorankommen im Takt unmöglich geworden wäre.

Eine Erkenntnis von uns war letzten Endes auch, dass, obwohl sehr viele direkt und indirekt am Bauvorhaben Beteiligte unser Wirken wahrgenommen haben, das Interesse während und insbesondere nach dem Projekt sehr überschaubar geblieben ist. Das Thema Lean ist ja durchaus im Bauwesen präsent, insbesondere werden Kommunikationsprozesse am Bauvorhaben methodisch auf Basis von Lean-Prinzipien neu aufgesetzt. Jedoch dort, wo Lean-Methoden in den operativen bzw. den wertschöpfenden Prozessen angewandt werden und Auswirkungen auf operatives Personal haben, ist scheinbar noch geringes Interesse vorhanden.

Wenn die Effekte unserer Interpretation der Lean-Philosophie vollständig zum Tragen kommen sollen, muss dieses Gedankengut so früh wie möglich der gemeinsame Nenner aller Beteiligten sein – am besten schon bei der Auftragsvergabe. Dann kann die Gesamtleistung bei der Durchführung von Bauprojekten auf ein Niveau angehoben werden, dass mit den herkömmlichen Denk- und Handlungsmustern nicht erreicht werden kann. Jedoch ist hierfür eine grundlegende geistige Neuorientierung notwendig. Denn die Wirkungskraft jeglicher Lean-Methode ist unter heutigen Rahmenbedingungen minimal, eher sogar hinderlich und führt zu Mehraufwand und Irritation bei den meisten Beteiligten.

Trotz all dieser Erfahrung ist unsere Erkenntnis nach diesem Experiment umso mehr, dass es unter den oben angedeuteten Voraussetzungen ungeahnt große Potentiale für eine gleichzeitige Verbesserung von Qualität, Produktivität, Durchlaufzeit und Mitarbeiter*innen-Zufriedenheit gäbe. Allerdings: “Im Grunde muss man beginnen, wenn noch gar kein Projekt da ist.”

Das Artikel erstellt Sabine Müller-Hofstetter vom Baumagazin a3BAU, mit kräftiger Mitwirkung von Dieter Budinsky, die uns dankenswerter Weise den Artikel für die Deep Lean Lernstatt zur Verfügung gestellt hat.

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